Wir spielen nur oder: Das ist Krieg!

Ich wollte zum Weinladen um die Ecke. Als ich aus der Haustür trat, standen dort, wo früher die Holzbank von Herrn Melzer, dem Tierbestatter, gestanden hatte, drei Männer. Von Weitem sahen sie wie Jugendliche aus, aber als ich näher kam, erkannte ich, dass sie älter waren, vielleicht Ende zwanzig, Anfang dreißig. Alle drei blickten auf ihr Smartphone, einer hatte sorgar zwei in der Hand. Es sah aus, als wären sie Touristen, die sich verlaufen hatten, und nun mit Hilfe moderner Technik zurückfinden wollten. Aber ich vermutete, dass sie dieses Spiel spielten, dessen Name mir nicht einfiel, für das man ein Smartphone mit GPS und Internetzugang benötigt. Aus einer Laune heraus fragte ich trotzdem: „Kann ich helfen?“

„Danke, wir spielen nur“, sagte einer der Drei. Weil ich lächelte und auch gleich weiterging, merkten sie, dass ich nur einen Scherz gemacht hatte. Ich hörte, wie einer etwas sagte und sie lachten.

Als ich kurz darauf zurückkam, standen sie immer noch da, inzwischen weiter vorne, an der Litfasssäule. Mit meinen Weinflaschen in der Einkaufstasche ging ich auf sie zu. Der Unscheinbarste der drei sah auf die Tasche hinunter, in der die Flaschen gut zu sehen waren, machte ein besorgtes Gesicht und sagte: „Naja!?“

Ich lächelte, überging seinen Kommentar und meinte: „Sie spielen sicher Pocahontas.“

„Pocahontas gibt es nur in Südamerika“, erwiderte ein Zweiter ohne von seinem Smartphone aufzublicken. Er hatte einen großen Kopf und eine unnatürlich rote Gesichtshaut.

„Pokemon Go“, korrigierte ich meinen Fehler.

„Ingress, ein Vorgänger sozusagen“, sagte der mit den zwei Handys. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Selbst seine Brille mit ihren großen runden Gläsern hatte ein schwarzes Gestell. Im Kontrast dazu stand seine wächserne, fast weiße Haut. Ich dachte, die beiden sehen nicht gesund aus.

„Und was ist das?“, fragte ich.

„Das ist Krieg!“, antwortete der mit dem roten Gesicht.

Der Schwarz gekleidete kam auf mich zu und hielt mir eines seiner beiden Smartphones hin. „Man sucht Punkte, macht ein Foto, und verbindet sie“, sagte er. „So entstehen dann Felder. Hier zum Beispiel der Stolperstein in der Seesener Straße.“ Ich sah auf dem Bildschirm ein Foto der kleinen Messingplatte, auf der die Geburts- und Deportationsdaten der ermordeten jüdischen Berliner, die dort einmal gelebt hatten, eingraviert waren. Er berührte das Foto und eine Karte mit leuchtenden Linien erschien, die verbunden Felder bildeten. „Es kommt darauf an“, erklärte er, „möglichst viele Felder zu besetzen“.

„Das Problem ist, dass man gegen eine andere Mannschaft kämpft“, meinte der Mann mit dem roten Gesicht.

„Na ja, da gilt doch fair play, oder?“, erwiderte ich.

„Tja, da gibt es immer einige, die sehen das anders“, sagt der Mann in Schwarz. Der unscheinbare Dritte war schon in Richtung Westfälische Straße weitergegangen. Der mit dem roten Gesicht ging hinter ihm her.

„Schönen Tag noch“, sagte der schwarz Gekleidete und folgte den anderen.

„Viel Spaß beim Spielen“, sagte ich und ging weiter.

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