Business Lunch

Auf dem Ku‘damm gibt es ein neues vietnamesisches Restaurant. Es bietet einen Mittagstisch an, der hier in der Gegend „Business Lunch“ heißt. An dem Tag, an dem A. und ich das Restaurant ausprobierten, war es gut besucht. Aber wir fanden noch zwei Plätze.

Wir hatten gerade zu essen begonnen, da setzten sich zwei Männer an das andere Ende des langen Tisches. Die Stimme des einen stach sofort laut und deutlich aus dem Lärm des kleinen Restaurants hervor. Ich schaute auf und sah zu ihm hinüber. Ein großer, schlanker Mann, vielleicht Mitte vierzig, mit kurz geschnittenem, dynamisch nach oben geföhnten Scheitel. Er trug ein beiges Jackett, darunter ein offenes weißes Hemd. Damit fiel er fast schon auf unter den zumeist in Anzug, Schlips und Kragen gekleideten Männern im Restaurant. Sein Gegenüber kleiner und unscheinbarer, mit leicht aufgedunsenem Gesicht, vielleicht zehn Jahre jünger.

Als die Bedienung kam, guckte der unscheinbare Mann in die Karte. Der mit der lauten Stimme blickte kurz auf und sagte: „Zwei Mal Suppe, süß-sauer, und zwei mal Reis mit Hähnchen.“ Dann schaute er wieder auf sein Handy und wischte mit dem Finger über den Bildschirm. Die Bedienung zögerte, wusste offenbar nicht, was sie auf ihren Block schreiben sollte. Dann fragte sie nach, was ich wegen des Lärms nicht verstand, aber sie zeigte auf die Karte. „Na das, was es bei allen Asiaten gibt. Hähnchen mit dieser roten, scharfen Soße. Und Wasser bitte.“ Es dauerte noch eine Weile, bis die Bedienung die Bestellung mit einem der angebotenen Gerichte verknüpft hatte. Dann ging sie wieder.

Kaum hatte sich die Frau abgewandt, sagte der Mann mit der lauten Stimme: „Also, rechnen wir hundert Quadratmeter, mal 6.000 Euro, sind 600.000. Mit 100.000 Eigenkapital und 3,3 Prozent, das sind 1375 Euro pro Monat. Die Wertsteigerung geht auf Dich. Zum Beispiel mein Dachgeschoß. Hat 300 Quadratmeter. Die hab ich für 1,2 Millionen gekauft, ist jetzt 3,2 wert.“

Eine Reihe weiter, an dem Tisch in der Ecke, hatte sich eine Frau gesetzt und tippte etwas in ihr Smartphone. Ein Mann, Anfang fünfzig, legte seinen Mantel auf die Sitzbank ihr gegenüber, wandte sich aber dem Mann mit der lauten Stimme an unserem Tisch. Er zeigte ihm eine Broschüre mit dem Titel „Immobilien-Börse“. Darauf war ein Foto mit einem großen Haus mit mehreren Stockwerken zu sehen. Der Mann mit der lauten Stimme sah in die Broschüre und gab leise Kommentare ab.

Dann waren die beiden an unserem Tisch wieder alleine. Wir waren gerade fertig mit dem Essen, als der laute Mann plötzlich zu uns herübergriff, unseren Besteckkorb hochriss, und ihm einen Löffeln entnahm.

Als wir gingen, hörte ich ihn noch sagen: „Petra ist ja immer so streitsüchtig“.

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