Denke ich an Weihnachten, denke ich vor allem an den Geruch von Büchern. An das Gefühl, mit der Hand über den Buchrücken zu fahren, die Seiten entlang des Daumens fließen und sich den Geruch der Druckerschwärze in die Nase wehen zu lassen. Ich war kein früher Leser, aber ab vierzehn, fünfzehn wünschte ich mir zu Weihnachten nur noch Bücher. Rückte Heiligabend näher, stieg die Vorfreude, bis ich dann am 24. endlich meine Nase in die noch druckfrisch riechenden Exemplare halten konnte. Welche Freude, welche Erwartung an die Zeit der Lektüre! Dass manches Buch dann eine Enttäuschung war, habe ich schnell wieder vergessen.
Eigentlich verrückt: Was hat der Geruch von Lösungsmitteln, die für den Buchdruck benötigt werden, mit Literatur zu tun? Eigentlich nichts. Zumal dieses, ja, fast erotische Verhältnis zu Büchern, nicht zu unterscheiden ist von anderen Vorlieben, z.B. der zu Modelleisenbahnen. Wie bei den Buchliebhabern versteht auch hier niemand sonst als die Fans selbst das euphorisierende Gefühl, das der ölige Geruch einer alten Märklin Lok hervorruft.
Die Wirkung des sinnlichen Eindrucks von Büchern war und ist wohl immer noch weit verbreitet. Und das sei hier festgehalten, bei aller Sympathie mit den Kollegen von der Modelleisenbahn: Bücher haben einen über das bloße Hobby hinausgehenden Wert. Unsere ganze Kultur basiert nicht nur auf dem Lesen, sondern auch auf dem Schreiben von Büchern. Und – das ist trotz der Misere der Buchbranche das Tröstliche: Sie wird auch weiterhin auf dem Lesen und Schreiben von Texten basieren. Nur dass diese Texte dann vielleicht nicht mehr ausschließlich zwischen zwei Buchdeckeln stehen, sondern im Speicher eines E-Readers. Deren Plastikgeruch dann in die Kindheitserinnerung der heutigen Generationen eingeht.
Oder vielleicht doch der Geruch von Büchern? Letztens brauchte ich ein Kabel für meinen Computer und war in einem Laden, der sich speziell an „Gamer“ richtet. Und staunte. Eigentlich wäre ein schnöder Rechner mit Tastatur, Bildschirm und Joystick genug, um die perfekten, hochaufgelösten ruckelfreien Welten der Computerspiele zu verwirklichen. Was dort aber angeboten wird und sich offenbar prächtig verkauft sind Computer, deren Innenleben hinter einer Glasscheibe wie eine Kathedrale angeleuchtet wird. Deren Wasserkühlung (ja, die werden heiß wie ein Ofen) mit aufwendig drapierten (durchsichtigen!) Schläuchen so inszeniert ist, dass mancher „Bolide“ aussieht wie ein Raumschiff. Kurz: Hier wird alles daran gesetzt, etwas sichtbar, fassbar, hörbar zu machen (das Aufheulen des Lüfters!), was eigentlich in winzigen Schaltungen im Innern unsichtbar und lautlos arbeitet. Ohne Verkörperung, um es mit einem theologischen Begriff zu sagen, geht es offenbar nicht. Und das ist die Chance des Buches! Ist das Buch nicht die schönste Verkörperung des literarischen, ja, des Geistes überhaupt? Und ist sein Geruch, der das Groß- und Kleinhirn links liegen lässt und direkt auf das Zentrale Nervensystem wirkt, nicht die größte Motivation, den Geist gegen alle Verdummung zu hegen und zu pflegen?