Die Drachen waren schon von Weitem über den grasbewachsenen Dünen zu sehen. Als wir den Strand erreichten, sahen wir, dass sie an einer langen Leine hingen, deren Enden an kleinen Sandsäcken am Boden befestigt waren. In dem dadurch entstandenen etwa zwanzig Meter hohen Bogen befanden sich wiederum drei kleinere Bögen mit Drachen. Ließ der Wind nach, senkten sich die Bögen, wurde er stärker, erhoben sie sich wieder in den Himmel, an dem ein paar Wolken mit der Sonne um die Vorherrschaft stritten.

Wir waren schon ein kleines Stück an den Drachen vorbei, als uns ein Mann nachlief. Ich erkannte ihn, er hatte uns am Tag zuvor am Strand angesprochen. „Na, auf Bernsteinsuche?“, hatte er gefragt. Ein Däne, der – entgegen dem gängigen Klischee – sehr gesprächig war. Stämmiger Körper, braun gebrannt, oben auf dem Kopf eine kleine Tonsur, die bedrohlich rosa leuchtete. Er trug eine eckige Brille mit dünnem Metallrand, zeigte auf die Drachen und sagte: „Das habe ich und meine Familie konstruiert. Wir sind 28, 29 Mitglieder“. „Toll“, sagte ich ehrlich beeindruckt, und er erzählte weiter. „Wir haben das für das Drachenfestival auf Fanö gebaut.“ Er begann mit einem Stock Halbkreise im Sand zu zeichnen. „Aber hier, viel größer, nicht mit vier Bögen, sondern mit fünf, und dann fünf Reihen hintereinander. Da kam dann ein Deutscher, der sagte: »Was habt ihr doofen Dänen da denn gemacht?«“ Er lachte. „»Das ist ja wie der Kölner Dom.«“

A. kümmerte sich um E., die über den Strand rannte und mit einem Ball spielte, der unten an einer der Leinen der Drachenkonstruktion befestigt war. Wir sahen den beiden eine Weile zu. Dann fragte ich: „Woher können sie denn so gut Deutsch?“ „Ich komm aus Sonderburg“, antwortete er. „Da ist Deutschland nicht weit.“ Mir fiel ein, dass vor Sonderburg, an den Düppeler Schanzen, 1864 die entscheidende, von den preußischen Truppen gewonnene Schlacht gegen Dänemark stattgefunden hatte. Danach wurde nach zweihundert Jahren dänischer Herrschaft Schleswig-Holstein preußisch. Etwas weiter unten am Strand lag außerdem, halb im Wasser eingesunken, einer der 8.000 Bunker, die das Deutsche Reich während der Besetzung Dänemarks im 2. Weltkrieg entlang der Nordseeküste bis zum Ärmelkanal gebaut hatte. Die Beziehungen zwischen Deutschen und Dänen waren lange feindlich gewesen.

„Gut, dass das Verhältnis zwischen Deutschen und Dänen so gut geworden ist“, sagte ich. „Das war ja mal anders.“ Ich zeigte auf den Bunker, der wie ein schwarz-grauer Felsen aus dem Meer herausragte. „Ach, den Krieg meinen sie. Zum Glück hab ich damit nichts mehr zu tun. Ich bin 1947 geboren. Aber meine Mutter, die hatte elf Geschwister. Die eine Hälfte hatte“, er suchte nach dem Wort und ich half ihm: „Sympathien“. „Ja, die hatten Sympathien mit den Deutschen, die andere Hälfte war dänisch. Erst bei meiner Konfirmation, 1961, ist die ganze Familie wieder zusammengekommen. Das erste Mal seit dem Krieg.“

„Schon komisch“, sagte ich. „In tausend Jahren werden wahrscheinlich alle heutigen Bücher und Bilder verschwunden sein. Aber diese bescheuerten Bunker werden noch stehen. Obwohl sie völlig sinnlos waren. Am D-Day haben die Alliierten am Ärmelkanal nur ein paar Stunden gebraucht, um sie zu überwinden.“ Ich dachte einen Moment lang nach. Dann sagte ich: „Im Grunde wie die chinesische Mauer. Die war auch ein Flop. Die konnte auch nicht verhindern, dass die Nomadenstämme aus dem Norden nach China eindrangen. Und heute steht sie immer noch da und ist Touristenattraktion.“