Spätestens seit dem großen Erfolg von „Linie 1“ gilt Wilmersdorf als spießiger Bezirk. In dem Theaterstück des Grips-Theaters treten die sogenannten „Wilmersdorfer Witwen“ auf. Ihr Vorbild in der Realität sind Frauen im fortgeschrittenen Alter, die ihre Männer – zumeist Angestellte oder Beamte im öffentlichen Dienst – überlebt haben. Die Witwenpension, die sie beziehen, erlaubt ihnen ein Leben in Sicherheit und relativem Wohlstand.
Doch die Wirklichkeit hat sich seit der Uraufführung des Stücks vor dreißig Jahren verändert. Nur noch selten treten die Wilmersdorfer Witwen wie im Theaterstück als reaktionäre Furien auf, die mit ihren Regenschirmen gegen Ausländer, Obdachlose und Kinder vorgehen. Statistisch gesehen leben aber im Vergleich zu anderen Berliner Bezirken immer noch die meisten alleinstehenden Frauen im Rentenalter in Wilmersdorf.
Vielleicht lässt sich das Phänomen der Wilmersdorfer Witwen mit der Nähe zur „Deutschen Rentenversicherung Bund“ erklären. Denn früher waren die über 20.000 Angestellten, die hier in einem Konglomerat an Gebäuden arbeiten, Garant der Witwenpensionen. Aber auch in diesem Fall haben sich die Zeiten geändert. Denn jeder, der einmal als Angestellter gearbeitet hat, kennt die Briefe, in denen man Jahr für Jahr die enttäuschende Höhe der zu erwartenden Rente mitgeteilt bekommt.
Am Rand der Deutschen Rentenversicherung nun gibt es einen Park, den „Preußenpark“. Er ist eigentlich kein richtiger Park, sondern nur eine große Wiese, um die es einen Rundweg gibt. Im Sommer, am Wochenende, spielt sich hier bei gutem Wetter ein Schauspiel ab, das bereits in manchem Reiseführer Erwähnung fand und in einem eigentümlichen Gegensatz zur Rentenversicherung und den Wilmersdorfer Witwen steht. Auf der großen Wiese, entlang einer unsichtbaren Straße, sitzen dann thailändische Frauen unter Sonnenschirmen und kochen auf flachen Campingkochern hinter selbstgebastelten Windschutzwänden aus Pappe Spezialitäten aus ihrer Heimat. Mit genügend schönen Wochenenden kann man sich hier in einem Sommer für wenig Geld rentenversicherungsfrei durch die komplette thailändische Küche essen.