Miteinander reden

Auf dem Festival für improvisierte Musik in Kalbe, einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt, stand neben der Kirche ein Zelt. Das eher altertümliche Modell hatte Sebastian, der in Leipzig und Schanghai Philosophie studiert hatte, zusammen mit einem Freund dort aufgestellt. In der Mitte befand sich ein kleines Regal mit einer Auswahl von Büchern. Die „Traurigen Tropen“ des französischen Ethnologen Claude Levi-Strauss lag da neben Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ und Edward W. Saids „Orientalism“. Auf der rechten Seite gab es einen Wasserkocher und einen kleinen Espressoautomaten. Jeder der Festivalteilnehmer konnte sich einen Kaffee oder einen Tee machen lassen. Wir saßen vor dem Zelt auf einem großen alten Teppich mit orientalischem Muster und unterhielten uns.

Lisa erzählte, dass sie in Görlitz wohnt. „Oh“, sagte ich, „gerade noch am AFD-Bürgermeister vorbeigeschrammt.“ Sie lachte und berichtete, dass sie zusammen mit ein paar Freundinnen letztens auf dem AFD-Frauenabend gewesen wäre. Das sei schon schräg gewesen. Erst wären sie reingegangen, aber schnell wieder draußen gewesen. Die Klappen auf beiden Seiten seien gleich runtergangen, hier wir – da ihr. Aber dann hätten sie einen weiteren Versuch unternommen, und am Ende drei Stunden lang mit den AFD-Frauen geredet.

Mia, die gerade hinzugekommen war, sah sie an und sagte: „Das finde ich toll, dass ihr mit denen geredet habt. Echt toll.“ Sie erzählte, dass sie in Duisburg-Nord aufgewachsen ist. Nach längerer Zeit sei sie dorthin zurückgekehrt. Alles wäre verändert gewesen. Libanesische Clans hätten den ganze Stadteil in der Hand. „Und die Polizei macht nichts.“

Ich sagte, dass ein entscheidendes Problem bei der ganzen Diskussion über Kriminalität die Verallgemeinerung der eigenen Erfahrungen sei. Die Kriminalitätsrate in Deutschland gehe ständig zurück, aber die Leute hätten subjektiv das Gefühl, dass es hier immer gefährlicher werde.

Nein, dass sehe sie nicht so. „Die schicken ihre Zwölfjährigen los, weil die nicht verurteilt werden können. Die terrorisieren die Bevölkerung.“ Ihrer Mutter hätten sie eine Bombe ins Wohnzimmer geschmissen. Und sie werde auf der Straße von den Clan-Kindern angespuckt.

Ich erwiderte, dass es im Grunde zu spät sei. Diese Leute, die zum überwiegenden Teil Palästinenser sind, wären während des libanesischen Bürgerkriegs in den 1970er Jahren nach Deutschland geflohen. Sie seien jahrzehntelang staatenlos gewesen und hätten jeden Tag mit Abschiebung rechnen müssen. Sie durften jahrelang nicht arbeiten. Das einzige, auf das sie sich verlassen können, sind ihre Familien. Und die einzige Möglichkeit aus der Armut herauszukommen die Kriminalität. Das entschuldigt nichts, aber man hätte vorher etwas anders machen müssen.

Nein, dass sei ganz falsch, so zu denken, sagte Mia. Sie wäre mal zum Integrationsamt der Stadt gegangen und hätte denen von den Zuständen in Duisburg-Nord erzählt. „Die haben gesagt, dass sei eine rassistische Auffassung. Ich, die ich mit einem Kroaten verheiratet gewesen bin, soll eine Rassistin sein?“

„Wenn man euch so zuhört“, sagte daraufhin Sebastian, „dann könnte man zu der Auffassung kommen, die Polizei wäre regelrecht migranten- und ausländerfreundlich.“

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