Im Keller des Hauses meiner Eltern hing eine große alte Karte von Schleswig-Holstein. Mein Vater hatte sie wahrscheinlich aus der Dorfschule, wo sie im Unterricht eingesetzt, später jedoch gegen eine neuere ersetzt worden war. Als Kind liebte ich diese Karte, weil sie so viele handgemalte Details enthielt. Wie auf einem Wimmelbild waren kleine Bauernhäuser zu sehen, Kühe, die auf der Weide standen und Eisenbahnen mit rauchenden Dampfloks. Die größeren Städte waren mit charakteristischen Details versehen. Lübeck mit dem Holstentor, Neumünster, wo ich zur Schule gegangen bin, mit den hohen Schornsteinen der der schon zu meiner Zeit verschwundenen Webereien. Vor Kiel, dem Marinehafen, schwamm ein Kriegsschiff in der Bucht.
Ich hatte mich immer schon für die zahllosen Details der Karte interessiert, war vor ihr stehengeblieben, wenn ich irgendwas aus dem Keller holen musste, und für einen Moment lang wie in einen Traum in ihre Welt eingetaucht. Bis ich eines Tages bei Bad Segeberg hängenblieb. Bad Segeberg, dass ist eine kleine Stadt, die durch die Karl-May-Festspiele über die Grenzen Schleswig-Holsteins bekannt geworden ist. Pierre Brice war hier in den 1980er Jahren als Winnetou jeden Sommer auf der Freilichtbühne vor dem Kalkberg gestorben. Ganz oben auf dem Berg, dem winzigen Stück spektakulärem Amerika in Schleswig-Holstein, sah ich eine noch winzigere Fahne. Ich ging mit dem Augen ganz nah an die Karte heran und sah, dass es eine rote Fahne war, mit einem weißen Kreis in der Mitte. Und in diesem weißen Kreis, mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen, ein Hakenkreuz.