„Isch bin inkontinent, vorne und hinten“, sagt Herr Constantini. Gekrümmt steht er vor seinem Bett und versucht sich, eine Windel umzulegen. Man weiß nie so richtig, ob er mit uns spricht, oder mit sich selbst. „Eij, eij, eij“, stöhnt er vor Schmerzen. Seine Knochen sind voller Athritis, er kann sich kaum noch bewegen. „Warum hilft keiner?“ Ich biete ihm an, nach einer Schwester zu klingeln, aber er sagt: „Will nicht immer klingeln.“ Dann zieht er sich die Unterhose über die Windel.
Herr Constantini stammt aus Palermo. 1962 ist er nach Deutschland gekommen, zunächst nach Göppingen. „Ich war bei Zeiss, haben mich rausgeschmissen, weil ich ein Tag gefehlt habe.“ Danach Umzug nach Berlin, wo er in italienischen Restaurants als Pizzabäcker und Kellner gearbeitet hat. „Das Laufen hat Knochen ruiniert.“ Jetzt geht es nur noch vom Bett zum Stuhl, in den er seinen dicken dunkelblauen Wintermantel so hingelegt hat, dass er ihn im Sitzen anziehen kann. Danach setzt er sich seine Prinz Heinrich Mütze auf, drückt sich langsam vom Stuhl in seinen Rollstuhl und fährt im Schneckentempo rückwärts mit den Beinen abstoßend in Richtung Zimmertür. Zwischen Herrn Poljakows und meinem Bett bleibt er dann meistens stecken, weil an meinem Bett wegen meiner Größe eine Verlängerung angebracht ist. Während er hin- und her rangiert, sehe ich an meinem Fußende, wie er durch die Gläser seiner etwas altmodischen, aber geschmackvollen goldenen Tropfenformbrille schräg nach hinten sieht.
In diesem Moment springt dann meist Herr Poljakow aus seinem Bett. Er ist der einzige von uns, der ohne Probleme gehen kann. Weil Herr Constantini sich rückwärts fortbewegt, bemerkt er Herrn Poljakow erst, als er seinen Rollstuhl an den Griffen nach hinten zieht. „Ah, un angelo, un angelo!“, sagt er und sieht mich dabei an. „Er ist mein Engel.“ Dabei hebt er seine Arme wie der Pabst beim Segnen der Menge. Wir lachen. Herr Poljakow schiebt ihn aus der Tür, Herr Constantini winkt mir noch lächelnd zu und verschwindet dann aus meinem Blickfeld in Richtung Ausgang.