Ein paar Wochen nach den Anschlägen in Paris hatte ich einen Unfall. Nichts Schlimmes, nur ein Blechschaden. Der Fahrer eines SUV (Sport Utility Vehicle), ein netter älterer Herr, war wegen der Höhe seines Wagens beim Zurücksetzen mit einem kurzen „Rumps“ auf der Motorhaube meines Mietwagens gelandet und hatte im Plastik einen kurzen Riss hinterlassen. Außer ihm saß noch sein Sohn im Auto, ein gut aussehender dunkelhaariger Mann mit kurzem Bart. Ihm gehörte der SUV und als ihm einfiel, dass er den Fahrzeugschein nicht dabei hatte, sagte er zu seinem Vater: „Papa, könntest Du bitte kurz hochgehen, er muss im Flur im Schrank liegen.“ Bis die Polizei eintraf, die ich laut Mietvertrag zu rufen verpflichtet war, unterhielt ich mich mit dem Sohn. Ich fragte danach, was er mache und erfuhr, dass er in der Musikbranche tätig ist und mit seiner Frau und zwei Kindern ein paar Jahre in London gelebt hatte und in eine Wohnung schräg gegenüber gezogen war. Und dass sein Vater in Duisburg wohnt und der Chefgeologe des Eurotunnels gewesen ist.
Nach einer halben Stunde, die wir in der Kälte gewartet und uns unterhalten hatten, trafen endlich in einem Streifenwagen zwei Polizisten ein. Beide waren sehr nett und besonders der eine trat uns gut gelaunt entgegen. Als er fragte, was denn passiert sei, zeigte ich auf den kaum erkennbaren Riss im Plastik der Motorhaube. „Was“, sagte er erstaunt, „das ist ja wie beim Trabbi“. Wir lachten und trugen jeweils unseren Namen und unsere Adressen in Formulare ein und tauschten sie danach aus. Mir fiel auf, dass der Vater promoviert war und einen arabischen Namen trug.
Kurze Zeit später kam der bereits erwähnte Polizist vom Streifenwagen zu uns zurück und sagte, dass jetzt alles aufgenommen sei. Allerdings würde der Verursacher des Schadens noch Post bekommen, leider, eine Geldbuße von 100 Euro wegen Unaufmerksamkeit beim Zurücksetzen. Nach kurzem Bedauern auf beiden Seiten wollten wir gehen, aber der Polizist schien in Plauderlaune und meinte: „Und aufpassen, es laufen Verrückte herum!“ Da die Anschläge von Paris noch nicht lange zurücklagen, dachten wir alle an das Gleiche. Und weil ich das nicht einfach stehen lassen wollte, erwiderte ich, dass es jetzt wichtig sei, nicht in Panik zu geraten. Es entspann sich ein kurzes Gespräch zwischen mir und dem Polizisten über die Beurteilung der Terrorgefahr und sinnvolle Gegenmaßnahmen. Der Polizist vertrat pessimistische Ansichten, ich versuchte gegenzusteuern und optimistischer zu argumentieren. Aber ich konnte ihn nicht überzeugen. Am Ende sagte er: „Aber sehen Sie das nicht auch so, dass wir vor einem Systemwechsel stehen.“
„Kein Wunder“, sagte der Vater, als wir wieder zu unseren Autos gingen, „dass die immer so lange brauchen, bis sie an der Unfallstelle sind.“