Als ich morgens das Rollo in meinem Abteil hochzog und hinaussah, flog das Bahnhofsschild von Nowa Huta vorbei. Ich hatte den Namen dieses Krakauer Vororts bereits in meiner Kindheit gehört. Er klang vielversprechend futuristisch, wie eine Stadt aus einem Science-Fiction-Roman. Aber ich wusste nicht, wo Nowa Huta liegt. Zeitweise glaubte ich, es müsse der Name einer Stadt in Jugoslawien sein; wahrscheinlich verwechselte ich es mit Novi Sad. Dann hatte A., als wir vor zehn Jahren in unsere Wohnung einzogen, eine schwarz-weiße Postkarte im Bad aufgehängt, auf der ein lächelndes kleines Mädchen zu sehen ist, das in einer ungewöhnlich kurzen, hochwandigen Badewanne in einer winzigen Küche sitzt. Auf der Rückseite las ich: „Nowa Huta, lata 60-te / 1960s“. Und: „Posh Commy – Krakow, Poland“. Seitdem weiß ich, das Nowa Huta in Polen liegt.
Das Foto erinnerte mich an meine eigene Kindheit. In dem Reihenhaus, in das meine Eltern mit mir und meiner Schwester Anfang der 1960er Jahre gezogen waren, wohnte im ersten Stock wegen des damaligen Wohnungsmangels noch eine junge Frau. Sie hatte ihr eigenes Bad. Unser Bad im Erdgeschoss war so klein, dass nur eine hohe Sitzbadewanne hineinpasste. Ich liebte diese Wanne und bevorzugte sie auch noch, als die Frau ausgezogen war, und ich in der großen Wanne hätte baden können. In der Sitzwanne war das Wasser tiefer; dort konnte ich viel tiefer tauchen.
Wo Nowa Huta genau liegt, erfuhr ich erst jetzt, als das Bahnhofsschild vorbeiflog. Nie hatte ich den Ort zu dem Namen recherchiert, auch nicht, nachdem ich die Beschriftung der Postkarte gelesen hatte. Der Name hatte mir gereicht.