Großmütter haben einen großen Hunger nach Bildern ihrer Enkel. Also fuhr ich mal wieder zu Foto-Kapp, um Abzüge der letzten Fotos meiner Tochter machen zu lassen. Namensgeber, Besitzer und einziger Angestellter des Foto-Fachgeschäfts ist Herr Kapp, ein etwa fünfzigjähriger Mann mit Henriquatre-Bart. Manchmal ist Herr Kapp ein bisschen ruppig, denn er ist Berliner, aber seine Abzüge sind gut. Auch sonst hat er mir schon einige Fragen ums Fotografieren kompetent beantwortet. Deswegen gehe ich immer wieder zu ihm, wenn es darum geht, den Hunger der Großmütter zu stillen. Auch wenn die Abzüge teurer sind als im Internet.
Wegen der Menge an Fotos dauerte es diesmal etwas länger, bis die große Maschine im Hinterzimmer des Ladens mit summenden und ächzenden Geräuschen die Fotos ausgespuckt hatte. Ich wartete vorne im Verkaufsraum und betrachtete das Museum der Foto- und Videotechnik, dass Herr Kapp in einem Teil seines großen Schaufensters eingerichtet hatte. Stumm schauten dort analoge Video- und Spiegelreflexkamera in die digitale Welt, alle im betagten Zustand, leicht angestaubt. Was die Video-Kameras anging, hatte ihre Zeit eine Banderole über der langen Vitrine hinterlassen, in der Herr Kapp nun Speicherkarten und Digitalkameras anbot. „Video“ stand dort in gelber Schrift auf schwarzem Grund, bestimmt zehn mal hintereinander. Und obwohl „Video“ als Wort ein bisschen am Aussterben ist, weil selbst im Kino heute Filme mit digitaler Videotechnik projiziert werden und „Film“ einfach cooler klingt, war Herr Kapp ganz up-to-date, zumindest mit der Berliner CDU, die im derzeitigen Wahlkampf Plakate aufgehängt hat, auf denen einfach nur „Mehr Video“ steht. Einerseits verstand das jeder: die CDU will mehr Überwachung. Andererseits hatte sich in einer Zeitung jemand gefragt, ob das hieße, den alten VHS-Videorekorder wieder aus dem Keller hervorzuholen.
Wie dem auch sei, in Herrn Kapps Fotofachgeschäft gibt es einen Widerspruch zwischen der Einrichtung mit Möbeln aus den 1980er Jahren und den in Glasquadern eingekappselten Hologrammen, die man hier mit Hilfe einer Spezialkamera von sich selbst anfertigen lassen kann. Auch der digitale Bilderrahmen auf dem Verkaufstresen passte nicht so recht zum Teppichboden. Er spielte in endloser Folge alle zwei Sekunden Bilder ab. Ich überlegte kurz, ob das die definitive Lösung für den Bilder-Hunger der Großmütter gewesen wäre. Mit einem Internet-Anschluss hätte ich mir auch den Weg zu Herrn Kapp erspart. Ich könnte dann in Echtzeit die neusten Schnappschüsse meiner Tochter in Küche und Wohnzimmer der Omas spielen.
Doch dann tauchte plötzlich in dem Bilderrahmen ein Mann auf. Ich dachte, den kennst Du doch. Ja, das war Herr Kapp persönlich! Dann wechselten die Bilder wieder zu türkisblauem Meer, weißen Sandstränden und kleinen Orten, deren Häuser wiederum aus einem Meer von grünen Bäumen hervorguckten. Und wieder war Herr Kapp zu sehen, aufgenommen vor dem hölzernen Tor zu einem Strand. Außer ihm sah man allerdings keine anderen Personen, ein paar Passanten ausgenommen, die ihm wohl zufällig vor die Kamera geraten waren.
„Wo ist denn das?“, fragte ich, nachdem er einen Kunden bedient hatte und zeigte auf den Bilderahmen. Im Hintergrund mühte sich die Maschine immer noch mit meinen Fotos ab.
„Philippinen.“
„Sieht ja schön aus“, sagte ich.
„Ist es auch“, bestätigte er.
„Aber nicht ganz ungefährlich“, fiel mir ein. „Seit neuestem wird man da ja gleich erschossen, wenn man irgendwelche Drogen bei sich hat. Der neue Präsident hat doch dazu aufgerufen.“
„Ach, das ist übertrieben“, erwiderte er, „das stimmt so gar nicht. Die Bild-Zeitung hat das auch hochgespielt. Das gilt ja nur für Dealer.“
Ich sagte dann noch, dass es nicht ganz einfach wäre, zwischen Dealern und Konsumenten zu unterscheiden, aber Herr Kapp ließ sich seine schönen Bilder nicht kaputt machen. Stattdessen lobte er die Inselgruppe im Pazifik. Seit 2005 sei er jedes Jahr dorthin gefahren. Immer wäre er mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen und nie hätte er Probleme gehabt. „Aber hier fahre ich nicht mehr U- und S-Bahn. Das ist mir zu gefährlich.“