Monat: Juni 2016

Die Reporterin

In der Cicerostraße, auf der Höhe der Schaubühne, raste uns plötzlich vom Ku’damm kommend ein Polizeiwagen mit Blaulicht entgegen. Dann hörten wir das laute aber unverständliche Rufen eines Mannes, irgendwo hinter dem Theatergebäude. Der Polizeiwagen hielt mit quietschenden Reifen in der Auffahrt zum Künstlereingang. Ein Beamter sprang aus dem Wagen und rannte mit der Hand am Pistolenhalfter in den Durchgang zwischen Theater und Apartmenthaus. Die Atmosphäre war sofort bedrohlich; offenbar handelte es sich hier nicht um die üblichen Dreharbeiten zu einem Krimi. A. blieb stehen und wollte nicht weiter gehen. Ich dachte, was soll uns schon passieren. Der Mann, der geschrien hatte, schien ja in die andere Richtung zu laufen, also von uns weg. Nach einer kurzen Pause hatte ich A. vom Weitergehen überzeugt, aber die Rufe verstummten erst, als wir um die runde Eingangsfront des Theaters herumgegangen waren. Dort sahen wir, wie ein weiterer Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene auf der linken Busspur gegen den Verkehr ein Stück weit den Ku’damm hochraste und ebenfalls in die Cicerostraße einbog. Zwei weitere Einsatzwagen waren in der Ferne zu hören und trafen nach und nach ein. Die Leute, die an den Tischen auf dem Platz vor dem Café Schaubühne saßen, schien das aber nicht mehr zu interessieren. Sie waren bereits zu ihren Gesprächen und ihrem Kaffee zurückgekehrt.

Kurze Zeit später, wir hatten uns ebenfalls an einen der Tische gesetzt, tauchte eine Frau auf, vielleicht hatte sie alles von ihrem Balkon im Apartmenthaus aus beobachtet. Sie trug eine große Brille mit halbhoch getönten Gläsern. Außer einer kleinen Digitalkamera, die locker an einer Schlaufe an ihrer Hand baumelte, hatte sie nichts dabei, keine Jacke, keine Tasche. Es sah so aus, als wollte sie Fotos von der Verfolgungsjagd schießen. „Bild“ ist ja immer auf der Suche nach Hobbyreportern. Die Frau sprach mit der Leiterin des Cafés, die gerade am Nebentisch Mittagspause machte. „Der hat ja immer nur geschrien, »Ich bin unbewaffnet, ich bin unbewaffnet.«“, sagte sie. „Wahrscheinlich ein Diebstahl. Der ist ihnen wohl durch die Lappen gegangen.“

Der Schneemann

Als wir um die Ecke gingen, schneite es. Dabei war es bereits April, der zwar auch dieses Jahr in Berlin machte, was er will, aber Schnee war nicht dabei. Es schneite so heftig, dass das Ende der Straße kaum zu sehen war. Erst als wir ein Stück weiter gegangen waren, sah ich dass der Schnee nicht von oben kam, sondern von unten, aus mehreren großen Rohren. Anhand der parkenden Lastwagen und einem Wohnmobil war klar: Hier wird ein Film gedreht. In Berlin trifft man eigentlich jeden Tag auf einen „Dreh“. Aber Dreharbeiten in einer verschneiten Straße bei 12 Grad, nach einem Winter, in dem kaum eine Flocke Schnee gefallen ist, das war dann doch ungewöhnlich.

A. ging schon mal weiter, ich blieb stehen und schaute zu. Wie eigentlich immer an solch einem „Set“ war kaum zu durchschauen, um was für einen Film es sich handeln und wie er aussehen würde. Zwischen dem Chaos der hin- und herwuselnden Leuten, den herumstehenden Apparaten und den oft bis ins letzte Detail ausgetüftelten Ordnung der Bilder des fertigen Films gibt es für den Beobachter einen Widerspruch. Hier standen rund zwanzig Leute herum, einige gaben Anweisungen oder trugen etwas irgendwohin. Aber wer war zum Beispiel der Regisseur? Manchmal ist er an einem auffälligen Schal oder eine rote Mütze zu erkennen oder sitzt auf einem Klappstuhl wie Hitchcock, aber hier war nichts davon zu sehen. Am Straßenrand stand ein Taxi, das nicht wegfuhr. Ein braun gebrannter Mann mit asiatischen Gesichtszügen und elegantem Mantel stand am Straßenrand. Im Taxi selbst befand sich hinter dem Fahrer eine junge Frau, ebenfalls mit asiatischen Vorfahren. Das mussten die Schauspieler sein.

„Eine Bank-Werbung“, sagte der Mann, der sich nach einer Weile neben die Schneekanone stellte. Ich hatte ihn gefragt, was für ein Film hier gedreht würde. Er schien froh, dass er jemanden gefunden hatte, mit dem er sich unterhalten konnte, denn er erzählte gleich weiter. „Die nehmen in Deutschland immer englische Schauspieler und in England Deutsche“, sagte er. „Damit sie niemand erkennt.“ Dass es sich um einen Werbefilm handelte, erklärte auch, warum es keine Mikrofone gab und wir uns unterhalten konnten. Die meisten Werbeclips sind ja Stummfilme. Der Ton kommt aus dem Off.

„Wird das nicht langweilig?“, fragte ich. „Na ja, kommt schon vor, aber meistens gibt es was zu tun.“ Kurz darauf krächzte eine Stimme aus einem kleinen Walky-Talky, das der Schneemann bei sich trug. „Schnee bitte!“ Er legte einen Knopf um, das Gebläse summte leise und schon wirbelten die Schneeflocken über der Straße. Die Frau in dem Taxi stieg aus und ging auf den Mann zu. Dann krächzte nochmal das Walki-Talki, der Mann stellte die Schneekanone ab und alles war wieder vorbei.

„Man kommt viel rum“, sagte der Schneemann. „Heute Abend geht es noch ins Elsaß.“ Eine Bierwerbung. Ein Mann versinkt im Schnee, wird irgendwie gerettet und bekommt danach zur Erholung ein Bier. Seine Firma sei Marktführer in Europa. Ursprünglich aus England, gäbe es inzwischen einen Deutschen Ableger. Man habe sich den europäischen Markt aufgeteilt und mache den Schnee für praktisch alle Filme. Die Schneekanonen würden in Berlin gefertigt, alles Einzelstücke. „Irgendwo muss hier eine Nummer sein“, sagte er und ging um das schwarze Gebläse herum, fand sie dann aber nicht.

Die Autos, die auf der anderen Straßenseite standen, waren eingeschneit. Im ersten Moment dachte ich, der Schnee müsste doch längst geschmolzen sein. Aber dann fiel mir ein, dass auch das natürlich Kunstschnee ist. „Der wird aus Zellulose hergestellt“, erklärte der Schneemann. „Der bleibt liegen, ist aber schwer wieder abzukriegen.“

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